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  • AutorenbildMarie-Avril Roux Steinkühler

🇩🇪 - Das französische Urheberrecht auf dem Prüfstand der freien Meinungsäußerung

Grundsätzlich hat der französische Richter die Aufgabe, die Interessen des Urhebers des ursprünglichen Werkes und diejenigen Dritter, die sich das Werk aneignen, gegeneinander abzuwägen.

Naked by Jeff Koons
« Naked » de Jeff Koons, 1988 © Artnet price database

Die Urheber können aber beruhigt sein, da diese Abwägung nicht zwangsläufig zu Gunsten der freien Meinungsäußerung durchgeführt wird, ganz im Gegenteil…

Gemäß den Richtlinien, die der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Januar 2013 in der Rechtssache «Ashby Donald und andere./. Frankreich »[1] vorgegeben hat, ist der französische Richter verpflichtet, die Einschränkungen zu beurteilen, welche das Urheberrecht für die Meinungsfreiheit mit sich bringt, und zwar unter Berücksichtigung der Notwendigkeit dieser Einschränkungen «in einer demokratischen Gesellschaft», wie es der Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorschreibt.


Auf dieser Grundlage hat der Kassationsgerichtshof in dem Beschluss «Peter Klasen ./. Alix Malka»[2] vom 15. Mai 2015 eine Entscheidung des Berufungsgerichts gerügt, mit der Begründung, das Gericht habe sich damit begnügt, die gesetzlichen Ausnahmen des Verwertungsmonopols des Urhebers an seinem Werk zu prüfen, statt eine wirkliche Abwägung der grundlegenden Rechte in Bezug auf die Fakten vorzunehmen. Auch wenn einige darin das Kommen eines «offenen Systems» sahen, in dem «die Freiheit der Meinungsäußerung und des kreativen Schaffens den engen Rahmen [des Urheberrechts] verlassen»[3], waren viele der Ansicht, der Kassationsgerichtshof habe «die Büchse der Pandora der grundlegenden Freiheiten des Urheberrechts geöffnet»[4].


Diese neue Tendenz trifft jedoch auf Widerstand bei den Richtern, die nicht bereit scheinen, ihre traditionelle Neigung aufzugeben, welche vor allem den Urheber schützt. Das am 09. März 2017[5] vom Tribunal de Grande Instance de Paris («TGI») gefällte Urteil, mit dem Jeff Koons verurteilt wurde, nachdem er sich das Werk eines französischen Künstlers angeeignet habe, ist ein perfektes Beispiel dafür.


Im konkreten Fall war der berühmte amerikanische Künstler Jeff Koons von der Witwe des Fotografen Jean-François Bauret beschuldigt worden, dessen Werk «Enfants» in der 1988 geschaffenen Skulptur «Naked» plagiiert zu haben. Ein Exemplar dieser Skulptur sollte im Rahmen einer Retrospektive der Werke Jeff Koons im Jahr 2014 im Beaubourg ausgestellt werden.


Die Klägerin forderte, die Gesellschaft JEFF KOONS, deren Geschäftsführer der Künstler ist, und das Centre Pompidou in solidum zu verurteilen.


Die Fotografie aus dem Jahr 1970, die der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist, aber 1975 in Form einer Postkarte verbreitet wurde, zeigt zwei nackte Kinder, einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen, die sich an der Hand halten, ein Symbol der Unschuld und Reinheit. Im Unterschied dazu stellt die Skulptur in dem Jeff Koons eigenen Kitsch-Stil zwei nackte Kinder dar, von denen eines «als phallisches Symbol» einen Fruchtknoten hält.


Trotz dieses Zusatzes ist die Ähnlichkeit offensichtlich, und der Richter erinnert daran, dass die Freiheit der Meinungsäußerung, selbst wenn sie im Dienste der Kunst steht, nicht systematisch die Einschränkungen rechtfertigen könne, die sie für das Monopol des Urheberrechtsinhabers mit sich bringt (I). Was die Abwägung der verschiedenen Interessen seitens des Richters betrifft, so erfolgt diese hier zum Nachteil der Appropriation Art, einer sich stark ausbreitenden künstlerischen Strömung, in der Jeff Koons eine führende Rolle einnimmt (II).

  1. Jeff Koons angesichts der Grenzen seiner eigenen Meinungsfreiheit

In unserer Entscheidung stellt der Richter die Nachahmung fest, indem er insbesondere betont, dass die Beklagten nicht einmal bestritten haben, dass Jeff Koons direkt von der Fotografie inspiriert wurde, um anschließend das Argument der Parodie und der freien Meinungsäußerung zurückzuweisen.


Was die Einrede der Parodie betrifft, so beurteilt der Richter diese unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung Deckmyn des EuGH[6]. Er ist der Ansicht, dass der Künstler im vorliegenden Fall vor dem Rechtstreit niemals eine Verbindung zu dem Werk des Fotografen hergestellt habe und dass das angeblich parodierte Werk in der breiten Öffentlichkeit unbekannt gewesen war, folglich sei es ihm unmöglich, der Einrede der Parodie stattzugeben.


Besonders interessant ist die Argumentation des Richters zur Zurückweisung des Einspruchsgrundes, der sich auf die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehene Freiheit der Meinungsäußerung stützt.


Zunächst bezeichnet der Richter das Werk als eine Zusammensetzung, eine Bezeichnung, auf die sich die Argumentation der Beklagten stützt, die sich auf die Freiheit der Meinungsäußerung von Jeff Koons berufen und betonen, dass dieser sich «auf rechtmäßige Weise für schöpferische Zwecke die Teile der Fotografie aneignen durfte, um sie in eine neues, eigenständiges Werk “ Naked” umzuwandeln und den Kindern einen neuen Sinn zu verleihen». Diese Argumentation wird durch die Zitierungen der oben erwähnten Rechtsprechungen Malka[7] und Ashby[8] sowie die Hinweise auf die amerikanische Doktrin des «fair use» oder auch die Strömung der Appropriation Art weiter ausgebaut.

Nachdem das Gericht die Praxis Jeff Koons’ anerkennt, der seit langer Zeit die Gewohnheit hat, nach dem Vorbild von Marcel Duchamp „ready made“-Gegenstände zu benutzen, weigert es sich, ihm im vorliegenden Fall den Vorteil der freien Meinungsäußerung zuzubilligen.

Schließlich weist der Richter die Argumentation zurück und hebt insbesondere hervor, dass «der Künstler sich entschieden habe, die Kinder auf der Fotografie vollständig zu verwenden, ohne einen ausdrücklichen Verweis auf das Porträt zu geben, welches der Öffentlichkeit nicht bekannt ist» und «ohne zu erklären, warum er keine andere Möglichkeit hatte», und somit «eine schöpferische Arbeit vermied, was ohne die Einwilligung des Urhebers nicht zulässig ist».


Somit scheint die künstlerische Ausdrucksfreiheit der aneignenden Künstler äußerst fragil.


  2. Ist die aneignende Kunst in Gefahr?


Wie in dem oben erwähnten Malka-Urteil wendet der Richter hier den Mechanismus der sogenannten „Abwägung der Interessen“ an, um herauszufinden, ob das Urheberrecht bezüglich der Verwertung der Fotografie von Jean-François Dauret oder die künstlerische Ausdrucksfreiheit von Jeff Koons Vorrang haben soll.


Um das Recht auf künstlerische Ausdrucksfreiheit gegenüber dem Urheberrecht zu stützen, berufen sich die Beklagten in erster Linie auf die aneignende Kunst.

Dabei handelt es sich um eine künstlerische Strömung, die mit den «ready made» von Duchamp entstanden ist und in den 1980er Jahren in den USA ihren Höhepunkt erreichte. Kennzeichnend für diese Strömung ist die Benutzung von existierenden Gegenständen, Bildern, ja sogar Kunstwerken[9].


 Im Übrigen bestreitet das TGI nicht die Zugehörigkeit des Künstlers zu dieser Bewegung, ebenso wenig wertet es seine Kunst ab, die «seit 35 Jahren offenkundig von Bildern oder Gegenständen inspiriert wird, die vor allem in der amerikanischen Massenkultur existieren».

Der Richter wird jedoch nicht durch die List getäuscht, die darin bestehen würde, jedes Werk im Namen der Freiheit der Meinungsäußerung auf dem Umweg des Begriffs des Appropriationismus zu schützen. Der Begriff der Nachahmung würde dann eine leere Hülle werden.


Der Richter betont daher, dass «die Kenntnis des angeeigneten Werkes seitens der Öffentlichkeit maßgebend sei für die Wirkung auf die Betrachter und notwendig für die Wahrnehmung der Botschaft des Künstlers, um die Reflexion des Betrachters zu bewirken».

Das Argument ist logisch: Indem Jeff Koons ein Portrait benutzt hat, dass die Reinheit und die Unschuld verkörpern sollte, um daraus ein Kinderpaar zu machen, dass die «Idee der Befreiung und der Menschlichkeit des Gefühls der Schuld, der Sünde und der Scham» verkörpert, entwickelt er sich in der Sphäre der Appropriation Art, die die in der Einleitung erwähnte Entwicklung der Rechtsprechung tendenziell begleitet. Doch unter der Voraussetzung, dass die Öffentlichkeit das Originalwerk nicht kannte und dass der Künstler nichts getan hat, um «Naked» in seinem Geiste damit zu assoziieren, kann Jeff Koons nicht den Anspruch erheben, sein abgeleitetes Werk müsse mit Bezug auf das Originalwerk interpretiert werden und dessen Benutzung sei für die Schaffung des abgeleiteten Werkes notwendig gewesen.

Das TGI folgert daraus, dass es sich somit um ein persönliches Interesse handelt, das Jeff Koons geleitet und ihm ermöglicht hat, die schöpferische Arbeit zu vermeiden.

Das Gericht folgert weiter: «ohne eine Rechtfertigung der Notwendigkeit, für seinen künstlerischen Diskurs ohne Einwilligung des Urhebers auf die Darstellung eines Kinderpaares zurückzugreifen, stellt die Durchsetzung des Urheberrechts der Kläger keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die freie Meinungsäußerung dar».


Es ist jedoch angebracht, die vom Tribunal de Grande Instance de Paris gewählte Lösung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Rechtsprechung in der Sache Malka abzumildern.

Sicher, die Sanktionierung des Plagiats bleibt der Grundsatz, und um sich auf seine Meinungsfreiheit zu berufen, muss der Plagiierende erklären, warum die Benutzung und Umwandlung des Originalwerkes für die Realisierung und Interpretation des abgeleiteten Werkes notwendig sind.


Die aneignende Kunst ist jedoch nicht dazu verurteilt, verurteilt zu werden, ganz im Gegenteil. Darüber hinaus ist gegenwärtig eine Entwicklung zugunsten neuer, sogenannter transformativer Nutzungen zu beobachten, bei der die Werke der Appropriationisten eine Rolle spielen.


Jedenfalls sind die Gesellschaft JEFF KOONS LLC und das Centre Pompidou in solidum verurteilt worden, für den erlittenen Schaden 42.000 Euro an die Anspruchsberechtigten zu zahlen. Bleibt die Tatsache, dass die «Vermeidung der schöpferischen Arbeit » sich lohnt, eines der Exemplare der Skulptur wurde 2008 für die bescheidene Summe von 8 Millionen Dollar verkauft…




[1] Beschluss des EGMR, vom 10. Januar 2013, Antrag Nr. 36769/08, Ashby Donald und andere ./. Frankreich – Bezugsvermerk zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention


[2] Beschluss des Kassationsgerichtshofs, 1. Zivilkammer, vom 15. Mai 2015, pourvoi Nr. 13-27391, Peter Klasen ./. Alix Malka



[4] Christophe Caron, « Droit d’auteur versus liberté d’expression : exigence d’un ‘juste équilibre’  », CCE 2015. Kommentar 55


[5] Urteil des Tribunal de Grande Instance de Paris, 3. Kammer, 4. Abteilung, vom 09. März 2017, RG-Nr.: 15/01086


[6] Entsheidung des EuGH, Große Kammer, vom 3. September 2014, Rechtssache C-201/13, John Deckmyn und Vrijheidsfonds VZW gegen Helena Vandersteen und andere: JurisData Nr. 2014-022523


[7] Beschluss des Kassationsgerichtshofs, 1. Zivilkammer, vom 15. Mai 2015, Beschwerdeverfahren Nr. 13-27391, Peter Klasen gegen Alix Malka


[8] Beschluss des EGMR, 10. Januar 2013, Antrag Nr. 36769/08, Ashby Donald und andere gegen Frankreich



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